Vom Königreich Sachsen ins Kaisertum Österreich


Die Grafen (Marquese) Piatti: Eine Übersicht
(Kira Edelmayer)
Die Grafen (Marchese) Piatti, bis 1919 dem niederösterreichischen Grafenstand angehörend, kamen über die Gesandtschaft des Königreichs Sachsen während des Wiener Kongresses 1814/15 nach Österreich. In die Dienste des Königreichs Sachsen traten die Marquese de Piatti, zu dieser Zeit in Venezien ansässig, während des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) ein. Die Brüder Alexander (Alessandro, 1722–1808)i und Ferdinand Joseph (Ferdinando Giuseppe, ~1732–1777)ii besetzten hohe Positionen am sächsischen Hof. Alexander wurde Obersthofmeister unter Prinz Anton (1755–1836), der von 1827 bis zu seinem Tod König von Sachsen war; Ferdinand Joseph wurde kurfürstlich-sächsischer Kammerherr und ehelichte
Friederike Louise von Erdmannsdorf (1733–1825), mit der er insgesamt sechs Kinder, die Söhne Karl Alexander (1766–1831), Johann Friedrich (1768–1837), Paul Emil (1771–1834) und Caesar (1773–1843) sowie die Töchter Amalia (?–1810) und N.N. bekam. Sowohl die Söhne als auch Amalia nahmen ebenfalls Positionen am sächsischen Hof ein. Karl Alexander wurde zum königlich sächsischen Konferenzminister ernannt, war Teil der sächsischen Gesandtschaft während des Wiener Kongresses 1814/1815 und heiratete bald danach Maria Anna Gräfin von Apponyi (1781–1852). Paul Emil, Geheimer Rat, Kammerherr und Obersthofmeister unter Prinz Maximilian von Sachsen (1759–1838), ehelichte 1802 die
polnischstämmige und dem sächsischen Adel angehörige Carolina von Dziembowo Pomian Dziembowska (1782–?), deren Söhne Friedrich August (1803–1872) und Clemens (1817–?) in den Dienst der Habsburger traten und die man auch als Begründer der (nieder-)österreichischen Linie bezeichnen kann. Im Jahr 1827 richtete Johann Friedrich für die Dresdner Besitzungen der Piatti eine Familienanwartschaft, einer Art Fideikommiss, ein, die danach von Prokuristen verwaltet wurde. Aus den Einnahmen der Anwartschaft bezahlte man u.a. auch die Pensionen und Gehälter der ehemaligen Angestellten. Im 20. Jahrhundert, nach der Abschaffung des Adels in Österreich und auch in Deutschland und der damit einhergehenden Auflösung von Fideikommissen und ausländischen Besitzungen wurde 1930 Familien intern festgelegt, dass die Anwartschaft und das damit verbundene Vermögen an Alfons und in weiterer Folge an  Ferdinand Piatti ausgehändigt werden sollte. Etwa zur selben Zeit, als die Marquis de Piatti nach Dresden kamen, wurde 1767 einem italienischen Handelsmann namens Car(o)lo (Karl) Piatti, nicht nur die Erlaubnis erteilt, mit Porzellan aus Meißen, sondern auch mit anderen „Consumtibilien“ zu handeln und diese, im Gegensatz zu anderen italienischen Kaufleuten, in seinem Haus ohne Haltung eines öffentlichen
Gewölbes (Geschäftsräume) anzubieten.iv Zu diesen „Consumtibilien“ zählten u.a. exotische und luxuriöse Konsumgüter wie Schokolade, Kau- und Schnupftabak, Tee, Rosinen, Marmeladen, geschälte Mandeln, Delikatessen (u.a. Gebäcke in verschiedenen Farben, überzogener Koriander) u.v.m. Die Handelsfamilie Piatti stieg innerhalb kurzer Zeit zum Hoflieferanten des sächsischen Königs auf. Der Vertrag zwischen der Handelsfamilie Piatti und dem sächsischen Hof blieb offensichtlich bis 1793 bestehen; ab 1791 übernahm zwar Carlo Antonio Ignatio Piatti die Agenden seines Vaters Car(o)lo, allerdings verliert sich ab 1793, als
das benachbarte Königreich Polen zum zweiten Mal geteilt wurde, die Spur der Handelsfamilie Piatti am sächsischen Hof.
Für die Abklärung der (verwandtschaftlich-familiären) Beziehungen zwischen den Marchese Piatti und der Handelsfamilie Piatti, die beide italienischer Herkunft waren, etwa gleichzeitig um 1760 im Königreich Sachsen aktiv wurden und am sächsischen Hof interagierten, sind  weitere Nachforschungen notwendig – schließlich figuriert das Porzellan als starkes Bindeglied. Die Grafen Piatti in Niederösterreich Die Herrschaft Loosdorf, die sich ursprünglich im Besitz der Fürsten von und zu Liechtenstein befand, kam 1834 an die Familie Piatti. 1829 bestätigte die Hofkanzlei den Conte-Titel für die Geschwister Giacomo, Antonio und Vittorio Piatti aus Veronavi und erhob 1841/43 Friedrich August Johann Marquis von Piatti (1803–1872), Besitzer der Herrschaften Loosdorf, Hagendorf und Burg Laa in Niederösterreich in den Niederösterreichischen Grafenstand.vii
Dieser Friedrich August heiratete am 1. Juli 1830 Cäcilie von Collalto und San Salvatore (1812–?), mit der er die Söhne Eduard Anton Emil (1831–?), Ferdinand Alphons Clemens (1833–1903) und Paul Emil Caesar (1843–?) hatte.viii Der Grafentitel wurde auf den erstgeborenen Ferdinand Alphons Clemens übertragen, der Margarethe Gräfin Collalto (1841–1918) ehelichte. Aus der Ehe ging Alphons Amadeus Friedrich Maria (1866–1910) hervor, der mit Gabriela Maria Karolina Hippolyta Gräfin Paar (1869–1945) verheiratet war und mit ihr
den Sohn Ferdinand Maria Karl Anton Ignaz (1899–1980) hatte, auf den weiter unten gesondert eingegangen wird.
Die letzten drei erwähnten Piatti waren vom Adelsaufhebungsgesetz vom 3. April 1919 (in Kraft 10. April 1919/10. November 1920) betroffen, das u.a. alle Rechte, Vorzüge und Titel
Adeliger aufhob sowie die Führung der Titel und Auszeichnungen verbot.
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Ferdinand Piatti
Ferdinand Piatti – geboren am 4. Juli 1899 auf Schloss Loosdorf, verstorben am 18.
März 1980 – meldete sich mit 17 Jahren freiwillig für den Militärdienst und absolvierte seine Grundausbildung mit Oktavian Heinrich Ferdinand Georg Hubertus Graf Fünfkirchen (1899–?) und Eduard Josef Graf Lobkowicz (1899–1959). Mit Oktavian Fünfkirchen war er bereits im Kollegium Kalksburg befreundet gewesen, wo die beiden im Oktober 1917 kriegsbedingt eine „Notmatura“ ablegten.x Danach gingen beide zurück zum „Kader Dragoner” (=Dragonerregiment) 15, mit dem sie an die italienische Front versetzt wurden.xi Während dieser Zeit wurde Piatti zum Fähnrich ernannt.xii Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges begann
er mit dem Studium der Landwirtschaft an der Hochschule für Bodenkultur in Wien, das er jedoch nicht abschloss, sondern im Familienbetrieb (Saatzucht) in Loosdorf die Verantwortung übernahm.xiii 1922 ehelichte er Anna Gabriele Collalto und San Salvatore (1904–1994) in Staatz. Aus dieser Ehe gingen die Kinder Alfons, Manfred und Andreas hervor. In der Ersten Republik hatte Ferdinand Piatti mehrere Funktionen und Ämter inne: Er war Vorsitzender im Gauverband Mistelbach (1929–1938), Leiter der Saatgutzüchter in Österreich, Funktionär der Milchwirtschaft sowie Vorsitzender und Präsident der Wiener Molkerei (1929–1938). Die „Mitteilungen der Österreichischen Land- und Forstwirtschaftsgesellschaft in Wien“xiv gewähren einen Einblick in seine Tätigkeit: So geht aus den Sitzungsberichten des Gauverbandes Mistelbach, in dem er von 1929–1938 Obmann war, hervor, dass diese durchschnittlich dreimal pro Jahr stattfanden, bei welchen u.a. auf Fragen und Anmerkungen der einzelnen Mitglieder eingegangen oder über Neuerungen in der Landwirtschaft – Förderung des Zuckerrübenanbaus, steuer- und sozialpolitische Aspekte;
Förderung bzw. Rückzahlung dieser bei Verlusten in der Landwirtschaft etc. – gesprochen wurde.
Dass die politische Situation in Österreich nach der Ermordung von Bundeskanzler
Engelbert Dollfuß (*1892–) 1934 wegen der verbotenen Nationalsozialisten immer schwieriger wurde, nahm auch Piatti wahr, der in der Zwischenkriegszeit Mitglied bei der Heimwehr und in späterer Folge in der Vaterländischen Front war.xv Während seiner Präsidentschaft der Wiener Molkerei war er für die Versorgung der Stadt mit Milch, Butter und anderen Milchprodukten zuständig. Nach der NS-Machtübernahme im März 1938 versuchte der Wiener
Bürgermeister Richard Schmitz (1885–1954) von Piatti die Bewaffnung der Belegschaft der Wiener Molkerei zu erzwingen, die dieser mit der Begründung ablehnte, dass „die WIMO […] Milch liefern [muss], nicht kämpfen“.xvi
Nach dem „Anschluss“ wurde Piatti von den Nazis „sekiert“ und meldete sich auf
Vorschlag von Heinrich-Hermann von Hülsen (1895–1982) beim Kavallerie Regiment 11 –eine Entscheidung, die er bereute.xvii Nach absolvierter Ausbildung wurde Piatti nach Polen (September 1939) geschickt, von wo er nach dem Ende des Polenfeldzuges Ende Oktober 1939 wieder nach Loosdorf bzw. Stockerau überstellt wurde. Dort kam es auch zu einem letzten (?)
Wiedersehen mit seinem Sohn Alfons (der 1942 in der Ukraine fiel). Piatti kam danach als Ausbildner (?) nach Osnabrück, kehrte 1942 wieder nach Stockerau zurück, wo ihm das Kommando über das Alarmschwadron übertragen wurde. Zu diesem Zeitpunkt erfuhr er auch vom Tod seines Sohnes.
Der endgültige Austritt aus dem Militärdienst wurde Piatti erst nach einem Herzinfarkt 1942 gewährt. Über die Jahre 1942/1943–1944 ist bis dato nicht viel bekannt, mit einer Ausnahme, dass Piatti 1943 (gemeinsam mit Franz Thoma, 1886–1966) die Geschäftsführung  der Österreichischen Milch-Industrie-Gesellschaft m.b.H. entzogen wurde.
Bevor Ferdinand und Anna Piatti Anfang 1945 die Flucht nach Helfenberg zur Familie Revertera antraten, wurden mit Hilfe belgischer Kriegsgefangener Silber, Porzellan und Glasluster (wohl Kristallluster) in den Keller des Schlosses in Loosdorf gebracht, wo sie eingemauert wurden. Noch in Loosdorf erfuhren sie, dass auch der zweite Sohn, Andreas, in der „Tschechoslowakei” (=Protektorat Böhmen und Mähren) ums Leben gekommen war.

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Eine Ausreise aus Niederösterreich war jedoch nur mit einer Bewilligung möglich, die anfangs verwehrt wurde. Nach der Bewilligung, die Anna Piatti beim damaligen Postenkommandanten erwirken konnte, mussten die Piatti Loosdorf innerhalb weniger Stunden verlassen. Beim hastigen Aufbruch wurden Dokumente, sonstige Familienunterlagen und Geld im Schloss vergessen.xx Die Flucht nach nach Oberösterreich Anfang 1945 – gemeinsam mit dem Postenkommandanten aus Staatz – war der Beginn einer sehr engen und effektiven
Zusammenarbeit der Familien Piatti und Revertera in der Widerstandsgruppe Helfenberg. die Piatti im Herbst 1945 in ihr Schloss in Loosdorf zurückkehrten, fanden sie im Gegensatz zum zerschlagenen Porzellan die Glasluster intakt vor.
xxi
i Matricula Online, Deutschland, Dresden, https://data.matricula-online.eu/de/deutschland/dresden/dresdenhofkirche/26/?pg=51.
ii Ebda., https://data.matricula-online.eu/de/deutschland/dresden/dresden-hofkirche/26/?pg=50. iii Sächsisches Staatsarchiv, 11025, Oberlandesgericht Dresden, 3983, fol. 1-49.
iv Sächsisches Staatsarchiv, 10025 Geheimes Konsilium, Nr. Loc. 05673/02, fol. 1-38. v Ebda., fol. 92-225.
vi OeStA AVA Adel HAA AR 713.37, Bestätigung des Conte Titels, Conte Piatti Giacomo, Antonio, Vittorio,
Siehe ital. Adelsbestätigung in Genua 89. Heft 12. 2963, fol. 1–4
vii OeStA AVA Adel HAA AR 713.38, Piatti, Friedrich August, Marchese, Grafenstand, Aufnahme in den
niederösterreichischen Herrenstand, 1836–1842, fol. 1-41.
viii Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Graeflichen Haeuser 1874, 636f. ix Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich, Gesetz über die Aufhebung des Adels, der weltlichen Ritterund Damenorden und gewisser Titel und Würden [Adelsaufhebungsgesetz].
x Manfred Stadler, Der österreichische Adel zwischen Heimwehren und Widerstand gegen den
Nationalsozialismus. Rudolf Graf Hoyos-Sprinzenstein, Ferdinand Graf Piatti, Georg Graf Thurn-Valsassina. 63 xi FA Piatti, Lebenserinnerungen, 4f.
xii FA Piatti, Lebenserinnerungen, 7. xiii FA Piatti, Lebenserinnerungen, 9.
xiv Mitteilungen der Österreichischen Land und Forstwirtschaftsgesellschaft, 1929, 207. xv FA Piatti, Lebenserinnerungen, 12.
xvi FA Piatti, Lebenserinnerungen, 12.
xvii FA Piatti Lebenserinnerungen, 14. xix Ebda. xx FA Piatti, Lebenserinnerungen, 22. xxi FA Piatti, Lebenserinnerungen, 21.

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